Larl, eine kurze Geschichte

eine kurze Geschichte

"Messen wir unsere Gesellschaft doch mal daran, wie wir mit den Ärmsten und Schwächsten umgehen." 


Gesellschaftliche Rubriken (genannt "adabei, im blickpunkt, …") sind in fast allen Printmedien, vorzugsweise natürlich in Boulevardzeitungen, zu finden. Seichte Unterhaltung, bei vielen Lesern aber sehr beliebt, sonst würden sie ja aus den Zeitungen verschwinden. Auch im Fernsehen - zB im ORF genannt "Seitenblicke" - werden zu den besten Zeiten eigens Sendeplätze dafür bereitgestellt. Gesellschaftliche Anlässe werden herangezogen, um uns Lesern bzw. Sehern die aktuell angesagte Elite unserer Gesellschaft näher zu bringen. Wir werden überflutet mit den Heldentaten dieser Damen und Herren, uns wird eindrucksvoll vermittelt, was die "Hi Society" alles für unsere Gesellschaft so leistet bzw. noch leisten wird. Wir können bewundern, wie gut so mancher Promi immer noch aussieht oder welch jüngeren, hübschen Lebensabschnittspartner dieser gerade für sich erkoren hat. Als Zugabe gibt es meist noch eine Wohltätigkeitsaktion - "Charity" - zu vermelden, die irgend einer karitativen Einrichtung zugeführt wird, was uns dann auch noch ein "innerliches Dankeschön" ab erbittet.

Wahre Gönner und Helden sind in unserer heutigen Gesellschaft gefragt. Menschen die es in ihrem Leben geschafft haben. Wenn nicht gerade erfolgreicher Profi-Sportler, dann eben die Elite der oberen Zehntausend, deren Identifikation sich hauptsächlich durch die Anhäufung von sehr, sehr viel Kapital wiederspiegelt. Die traurige Erkenntnis daraus: Unser gesellschaftlicher Status wird hauptsächlich nur mehr an materiellen Werten gemessen. Wir wurden schon von klein auf getrimmt, zu funktionieren, 100% Leistung zu erbringen. Wir sollten auch immer nach Höherem streben, Aufgeben ist dabei keine Devise. Mit viel Einsatz, Eifer und etwas Glück kann man es vielleicht schaffen und zählt dann auch mal zur Elite.

Leider bleibt dieser Traum den meisten von uns jedoch verwehrt und wir lernen zu erkennen, dass es noch eine andere Seite unserer Gesellschaft gibt. Wir haben zwar hart gearbeitet, haben viel Eifer an den Tag gelegt und manchmal haben wir sogar das Glück, kleine Erfolge zu vermelden. Trotzdem zählen wir zum mehrheitlichen Anteil unserer Bevölkerung, die die Boulevardzeitungen weiterhin nur durchblättern bzw. sich die Sendung Seitenblicke erste Reihe fußfrei vor dem Fernseher anschauen. Dabei hatten wir ja eigentlich bis dato trotzdem Glück. Wir dürfen einer geregelten Arbeit nachgehen, wohnen den Umständen entsprechend gut, unsere Kinder sind mit dem Nötigsten versorgt. Wir erfreuen uns sogar an einem Hobby, sofern es sich zeitlich und finanziell ausgeht. Alle zwei, drei Jahre ermöglichen wir unserer Familie mit den hart ersparten Reserven einen Sommerurlaub mit Strand am Meer. Eine Liegestuhlbreite weiter treffen wir zufällig flüchtige Bekannte, die ebenfalls eine Woche gebucht haben.

Glück gehabt! Solange wir ein verlässliches Einkommen nachhause bringen, welches normalerweise um den 20. des Monats erschöpft ist. Wäre da nicht die Teilzeitbeschäftigung des Partners. Dessen Gehalt muss dann aber bis zum Monatsende reichen. Dabei haben wir wieder einmal Glück. Die Kommune unseres Wohnorts hat erst kürzlich eine Einrichtung für Kinderbetreuung eröffnet, in der wir unseren Jüngsten nun zwischenzeitlich gut versorgt unterbringen. Sonst wäre an Teilzeitbeschäftigung gar nicht zu denken. Alles unter einen Hut zu bringen, bedeutet für den Partner zwar Stress, aber irgendwie geht es schon. Abends ist man dann heil froh, alles geschafft zu haben, die Füße hochlagern zu dürfen, um im Fernsehen wieder einmal ein wenig Seitenblicke zu schauen. Völlig übermüdet hält man zwischendurch mit seinem Partner noch ein wenig Smalltalk. Flüchtig ist dabei noch zu erwähnen, dass eine gute Arbeitskollegin schon vor einem halben Jahr gekündigt hat. Dabei hatte sie so einen guten Job.

Aber das war ja eigentlich ihre Schuld. Denn als sie sich von ihrem Mann trennen musste, aus welchen Gründen auch immer, ist sie ja alleine mit den beiden Kindern dagestanden. Der Betriebsrat hat zwar noch versucht, mögliche Arbeitszeitverkürzungen für sie zu erreichen, doch die Geschäftsführung hat trotz intensiver Abwägung aller personellen Umstände nicht eingelenkt. In Zeiten voller Auftragsbücher kann man restriktive keinem Angestellten die Kürzung von Arbeitszeiten gewähren. Um sich weiterhin um ihre Kinder kümmern zu können, musste die Frau wohl oder übel von selbst kündigen und verspielte dabei auch noch ihre Abfertigung.

Die Scheidung von ihrem Mann verlief einvernehmlich, dabei wurde die gemeinsame Eigentumswohnung der Frau mit Kindern zugesprochen. Leider war die Finanzierung für den damaligen Kauf der Wohnung noch nicht abgeschlossen. Sie konnte die Raten für den Kredit nicht mehr berappen und musste sich nach kurzer Zeit schweren Herzens von der Wohnung trennen. Der Verkauf, im Auftrag eines renommierten Maklers verlief unter Preis. Der hatte gemeint, es ist gerade ein ganz schlechter Zeitpunkt für den Immobilienmarkt. Nach Abzug aller Erlöse bleiben ihr somit noch mehrere Jahre zur Tilgung des offenen Kredits. Von ihrem geschiedenen Mann ist ohnehin keine Unterstützung mehr zu erwarten, dieser musste kurz nach der Trennung mit seiner privaten Firma Insolvenz anmelden. Ab und wann kommt er zumindest seiner Verpflichtung nach und überweist ihr sporadisch die vereinbarten Alimente für die beiden Kinder. Ansonsten hat er jedoch den Kontakt zu ihr und den Kindern abgebrochen. Vorübergehend ist sie nun mit ihren Kindern in einem nahe gelegenen Frauenhaus untergekommen, erhält vom Land Mindestsicherung und wartet darauf, dass ihrem Antrag beim Amt statt gegeben wird. Mit viel Glück wird ihr vielleicht in den nächsten Monaten eine kleine Sozialwohnung zugewiesen. Bleibt zu hoffen, dass es die arme Frau auch weiterhin schafft.


Anschließend der Sendung Seitenblicke wird noch eine bedrückende Dokumentation über Flüchtlinge aus Syrien im ORF übertragen. Die Kinder sind da wirklich arm dran. Entsetzliche Bilder! Da der Tag aber ohnehin schon so anstrengend war und man sich selbst mit seinen eigenen Problemen nicht mehr beschäftigen will, wechselt man lieber den Sender und schaut sich ein paar Dumpfbacken bei DSDS  (Deutschland such den Superstar) an. Wie Dieter Bohlen diese Typen verarscht, einfach sensationell, das macht ihm keiner so schnell nach. Beim Zähneputzen muss man noch über Dieters derbe Sprüche lachen und denkt sich, wie dumm diese Leute doch sind. Aber der Sieger von DSDS kann es schaffen und zählt künftig vielleicht auch zur Elite. Der Wecker wird auf 04:30h gestellt.

Die Nacht war kurz, muss aber zur Erholung reichen, denn jetzt geht es mit dem 13 Jahre alten Auto wieder zur Arbeit. Der Verkehr um diese Zeit ist schon massiv, aber es steht auch keine akzeptable Alternative zur Verfügung. Die öffentlichen Verkehrsmittel fahren zu den unmöglichsten Zeiten, dabei müsste man sogar noch zweimal umsteigen. Um zeitgerecht in der Firma zu sein noch früher aus den Federn? Nein danke. Das Thema mit dem "CO2" hängt zwar wie ein Damoklesschwert über einem, aber schon rein aus finanzieller Sicht kann man sich kein neues, der Umwelt entsprechend "sauberes" Auto vermögen. An ein Elektroauto gar nicht zu denken. Der Stress der ganzen Woche ist in den frühen Morgenstunden merklich zu spüren, die Lieder werden immer schwerer ... die Aufmerksamkeit lässt nach ... plötzlich Sekundenschlaf ... ein kurzer Moment ... es sind noch die hellen Lichter des entgegenkommenden Fahrzeuges zu sehen ...



... aus völliger Dunkelheit die Augen zu öffnen fällt sehr schwer. Das Licht ist stechend grell, der Raum wirkt unangenehm unterkühlt. Nur mit äußerster Anstrengung lassen sich erste Gedanken fassen. Erinnerungen sind trotz vollster Konzentration nur in Fragmenten zu erarbeiten. Die Situation ist immer noch unbegreiflich ... der eigene Körper ist nicht zu spüren und mit voller Wucht macht sich Angst und Panik in einem breit ...

Was ist passiert?

Was ist mit mir passiert?

Hoffentlich ist es nicht so schlimm?

Und wenn doch?


Was wird aus meiner Familie?

Den Kindern?

Wer wird für Sie ... für uns alle sorgen?

An wen soll ich mich denn wenden?


Thomas Larl, März 2020
Soziale Errungenschaften sind keine Selbstläufer!
thomas-larl.at